Es war ein anstrengendes, aufwühlendes und schwer verdauliches Wochenende für Swifties wie mich. Schließlich ist am vergangenen Freitag das gewaltige Songrepertoire von Taylor Swift um 31 Songs von einer Dauer von 2 Stunden und 2 Minuten gewachsen. Eine ziemlich zeitaufwendige Sache also für Taylor wie auch Fans. In ihrem elften Studioalbum „The Tortured Poets Department“ zeigt sich die 34-Jährige noch autobiographischer, intimer und ungeschönter als wir es bereits von ihren vorherigen Werken gewohnt sind. Doch könnte es das letzte Mal gewesen sein, dass uns Swift auf diese Art einen Blick in ihre Gefühlswelt und ihr Privatleben gibt. Das prophezeien zumindest Fans und Kritiker.
Schon seit Beginn ihrer Karriere hat die Sängerin ihr Leben, ihre Beziehungen und ihre Emotionen in Songs verpackt. So offen wie in „TTPD“, wie das Album abgekürzt genannt wird, haben Fans sie aber noch nie über Themen wie Alkoholmissbrauch, Depression, Todeswunsch und Versagensangst singen gehört. Sie verarbeitet in den Songs zwei einschneidende Breakups, die Lasten ihres Ruhms sowie die ständige Angst selbigen eines Tages zu verlieren. Im Song „I can do it with a broken heart“ gesteht sie zudem, während Teilen der rekordbrechenden Eras Tour unter Herzschmerz und Depressionen gelitten zu haben. „I am miserable and nobody even knows“ (z. Dt.: „Ich bin unglücklich und niemand weiß das überhaupt“), singt sie lachend zum Ende des Songs.
Ist „The Tortured Poets Department“ zu intim?
Das Album, das an vielen Stellen einem vertontem Tagebuch der dunkelsten Gedanken Swifts gleicht, war für zahlreiche Swifties und Kritiker offenbar schwer zu verdauen. Stimmen wurden nach der Veröffentlichung laut, dass sie in Zukunft „weniger persönlich und detailliert über sich singen“ und ihre Songs „allgemeiner halten“ solle, damit sich mehr Zuhörende damit identifizieren können. Die „New York Times“ bezeichnet zudem die meisten Songs auf dem Album als „überflüssig“. Viele ihrer Lieder würden in dem „dichten Dickicht ihres eigenen Wortschatzes“ untergehen und seien zu „festgefahren auf ihr Innenleben“, heißt es weiter.
Auf TikTok hat ein Fan nun die – mittlerweile virale – Theorie aufgestellt, dass mit „TTPD“ das Ende dieser Intimität und Offenkundigkeit der Songtexte eingeläutet werde und dies auch passieren müsse. Schließlich sei Taylor Swift mittlerweile ein zu großer Star, um die Öffentlichkeit und Fans weiter gewohnt detailliert und authentisch an ihrem Privatleben teilhaben lassen zu können.
Weiter mutmaßt die TikTok-Userin, dass Swift diesen Bruch mit dem zweiten Teil ihres Albums, „The Anthology“ genannt, den Fans vermitteln wolle. Ich sehe ebenfalls eine Trennung der zwei Hälften. Die ersten 16 Songs von „The Tortured Poets Department“ lassen oftmals wenig Interpretationsspielraum, über wen oder was sie handeln. Hinweise auf Drogen, Tattoos und dem „Bad Boy Image“ deuten etwa eindeutig auf Matty Healy. Die 15 Lieder der zweiten Hälfte des Doppelalbums hingegen unterscheiden sich zu ihren Vorgängern bei genauerem Hinhören nicht nur in ihrer Komposition, sondern auch in ihrer Thematik. Statt über reale Personen singt Swift nun in obskureren Metaphern. Darin widmet sie ihre Songs unter anderen einer Prophezeiung, der Weissagerin Kassandra aus der griechischen Mythologie sowie Peter Pan.
Taylor Swift wendet sich in „TTPD“ gegen ihre Fans
Je mehr ich darüber nachdenke, fange auch ich an, der Theorie etwas abgewinnen zu können. Denn über das Wochenende habe ich zudem von Fans gelesen, die der Überzeugung sind, dass Taylor mit dem neuen Album versuche, Fans loszuwerden: Mit dem Ziel ihre Kunst weiterhin aufrecht zuhalten. Was im ersten Moment kontraproduktiv klingen mag, folgt dem gleichen Argument wie zuvor: „Du kannst nicht dein authentisches Selbst leben und dein Inneres nach außen kehren, wenn dich Millionen von Menschen dabei beobachten.“
Da ich wahrscheinlich eine Doktorarbeit mit meinem Wissen über Taylor Swift schreiben könnte, sind auch mir einige Hinweise darauf aufgefallen, dass die schonungslose Ehrlichkeit und Verletzbarkeit in ihren Songs mit wachsendem Ruhm zunehmend schwieriger für sie zu werden scheint. (Langer Satz, ich weiß. Lasst uns kurz gemeinsam durchatmen.) Ein gutes Beispiel dafür ist der Song „But Daddy I Love Him“ des aktuellen Albums.
Darin kritisiert die Sängerin ihre eigenen Fans und deren bevormundendes und teils übergriffiges Verhalten ihr gegenüber. Als im vergangenen Jahr Gerüchte um ihre Beziehung zu Matty Healy laut wurden, kritisierten zahlreiche Fans die Sängerin online. Sie forderten sie auf, sich von dem Sänger zu trennen, Stellung zu den Gerüchten zu beziehen und attackierten sie und Healy verbal. In „But Daddy I Love Him“ positioniert sich die 34-Jährige klar gegen die Einmischung in ihr Privatleben: „I just learned these people try and save you cause they hate you“ (z. Dt. „Ich habe gerade gelernt, dass diese Menschen versuchen dich zu retten, weil sie dich hassen“). Sie würde lieber ihr ganzes Leben herunterbrennen lassen als noch eine weitere Sekunde „all this bitchin‘ and moanin’“ zu lesen, singt sie weiter. Die vermeintlichen Fans bezeichnet sie unter anderem als Saboteure, giftige Schlangen („vipers“) sowie verurteilende Widerlinge („judging creeps“). Harte Worte gegen die eigenen Fans.
Swift distanziert sich von eigenen Songs
Und auch wenn sich Taylor mit Songs wie „Style“ oder „Dear John“ in der Vergangenheit nicht viel Mühe gemacht hat, ihre Musen unkenntlich zu machen, so scheint sie darüber rückblickend nicht immer glücklich zu sein. Auf „Speak Now (Taylor’s Version)“ ist etwa die oben genannte Abrechnung mit Ex John Mayer zu finden. Auf einem ihrer Konzerte warnte die Sängerin ihre Fans, den Re-Release nicht als Anlass zu nehmen, dem Musikerkollegen Hassnachrichten zu schicken. Sie würde „gar nichts mehr kümmern“, was ihr mit 19 widerfahren sei, erklärte sie und distanzierte sich damit von ihrem vergangenem Selbst und „Dear John“.
Diese Trennung zwischen ihrer Person und den Inhalten ihrer Werke nach deren Veröffentlichung war von der Songwriterin in letzter Zeit häufig zu hören. Auf der Eras Tour singt sie etwa bei jedem Konzert das Liebeslied „Lover“, das sie einst für ihren Langzeitpartner Joe Alwyn geschrieben hat. Auch kurz nach der Trennung performte sie diesen mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine Erklärung dafür scheint sie bei einem Monolog vor dem Lied zu geben. Darin widmet sie auf jedem Konzert den Song ihren Fans. Denn obwohl der Song einst ihr gehört habe, gehöre er nun denen, die ihn ins Herz geschlossen haben und ihre eigene Geschichte damit verbinden würden.
Versteckt Taylor ein Easter Egg im letzten Song von „TTPD“?
Es ist mit Sicherheit kein Zufall (Zufälle gibt es in Taylor Swifts Arbeit generell nämlich keine), dass auch ihr neues Album mit den Zeilen endet „Now and then I reread the manuscript, but the story isn’t mine anymore“ (z. Dt.: „Hin und wieder lese ich das Manuskript nochmal, aber die Geschichte ist nicht mehr meine.“). Der Song, der eine Rückblende auf ihre Beziehung zu dem 13 Jahre älteren John Mayer zu sein scheint, sagt klar: Diese Lieder sind meine Geschichten, aber sie sind Teil der Vergangenheit. Mit ihrer Veröffentlichung wandern sie von dem Leben der Sängerin in das ihrer Fans. Über „The Tortured Poets Department“ schreibt Swift auf Instagram: „Sobald wir unsere traurigste Geschichte ausgesprochen haben, sind wir frei von ihr.“
Seit Beginn ihrer Karriere war genau das die Herangehensweise sowie das Geheimrezept für ihre Songtexte und deren Erfolg. Taylor Swifts Ehrlichkeit, sowie das Dekodieren ihrer Lyrics haben Fans über die Jahre lieben gelernt. Währenddessen scheint das Schreiben und Veröffentlichen der Lieder für die Sängerin selbst therapeutische Wirkung zu haben. Es wäre daher überraschend und für viele Fans sicher auch enttäuschend, wenn diese Symbiose nach fast zwanzig Jahren ein Ende finden würde. Trotzdem zeigen sich auch die Schattenseiten dieser Praxis mit Taylors wachsendem Erfolg immer deutlicher – für sie, wie auch für die Protagonisten ihrer Songs. Wie sie damit in Zukunft umgehen wird, wird sich wohl erst in Album Zwölf zeigen…
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