Übergroße dunkle Sonnenbrillen, weiße enge Tanktops und wo man nur hinschaute derselbe schwarze verzerrte Arial-Schriftzug auf neongrünem Hintergrund: 2024 war das Jahr des „brat summer“. Nichts prägte die heiße Jahreszeit so sehr wie Charli xcx’s Hyperpop-Album.
Mehr als nur ein Trend, sondern eine ganze Bewegung: Weg von der in den sozialen Medien gefeierten „clean girl“-Ästhetik, hin zum wilden Partygirl mit verwischtem Eyeliner von der Nacht zuvor. Mit „brat“ (dt. „Göre“) feierte Charli xcx nicht nur ihren größten musikalischen Erfolg, sondern prägte über Monate hinweg Kultur, Gesellschaft – und sogar Politik: Kamala Harris ging im US-Wahlkampf auf Gen-Z-Stimmenfang, indem sie sich selbst als „brat“ auf TikTok vermarktete.
Mit ihrer finalen Performance auf dem diesjährigen Coachella verkündete Charli xcx nun das endgültige Ende des – zugegebenermaßen mittlerweile über Jahreszeiten hinweg anhaltende – „brat summer“. Hinter ihr erschien in diesem Moment die Frage, die sich gerade viele Popkulturfans stellen: „Maybe it’s time for a different kind of summer?“
„brat“ ist Geschichte. Was kommt jetzt? Hier meine Prognose, welche popkulturellen Momente den Sommer 2025 definieren werden und warum.
Was „Barbie summer“ und „brat summer“ gemeinsam haben
Um neue Trends vorherzusagen, lohnt sich ein genauer Blick auf die, die zuvor kamen. Vor dem „brat summer“ eroberte 2023 der „Barbie summer“ Kinos und Zeitgeist. Die beiden Popkulturmomente wirken auf den ersten Blick vielleicht schon rein ästhetisch sehr unterschiedlich. Dabei eint die beiden „summer“ einiges:
- Wiedererkennungswert und leicht kopierbare Looks:
Gutes Marketing is everything, baby. Das haben „Barbie“ und „brat“ eindrucksvoll bewiesen. Neongrün (für die Nerds: #8ACE00): „brat“. Magenta pink (#D3419D): „Barbie“. Die jeweilige Ästhetik der Momente ließ sich dementsprechend leicht nachstylen. Sei es, wenn man im pink-rosa Outfit ins Kino spazierte oder in Charli xcx’s Club-Look feiern ging. So sprengten „Barbie“ und „brat“ die Grenzen ihrer Genres und zogen unter anderem auch in die Mode ein. - Maximalistische Feminität:
Wenn auch auf unterschiedliche Weisen sind „brat“ und „Barbie“ maximalistische Ausdrucksformen des Frauseins. Egal ob hyperfeminin oder görenhaft, sie feiern Feminität. - Beneath the surface:
Noch eine Gemeinsamkeit: Sowohl hinter Film als auch Album verbirgt sich mehr über girlhood, als es auf den ersten Blick scheint. Während sich „Barbie“ mit Schönheitsidealen und dem Patriarchat auseinandersetzt, bespricht Charli xcx in ihrer Musik auf intime Weise unter anderem Kinderwunsch, Rivalität unter Frauen und komplizierte Beziehungen mit Freundinnen. - Gegenbewegung zum vorherrschenden Schönheitsideal:
Seit mehreren Jahren erzählen Frauen auf Social Media anderen Frauen, dass sie sich möglichst neutral, natürlich, aber auch perfekt präsentieren sollen. Die „clean girl aesthetic“ definiert sich durch sleek buns, aus denen kein einziges loses Haar heraussticht, makellose Haut, viel Beige – und viel Einheitsbrei. Sowohl „Barbie“ als auch „brat“ lieferten dazu kontrastreiche Alternativen. - Wenn Eskapismus auf Nostalgie trifft:
Zwei Erfolgszutaten für erfolgreiche Popkultur. Sie lenkt uns nicht nur von der unschönen Gegenwart ab, sondern versetzt uns auch in schönere vergangene Zeiten. Während uns Barbie natürlich mit der gleichnamigen Puppe in unsere Kindheit versetzte, erinnerte der Sound von „brat“ an die frühen 2000er Jahre. - Viralität ist die beste Promo:
Schon ein Jahr bevor „Barbie“ in den Kinos anlief, wurden die ersten Setfotos von Margot Robbie und Ryan Gosling in schrillen, engen Kostümen zu Klickhits im Internet. Später wurden Szenen des Films sowie Billie Eilish’s Titelsong ebenfalls zu TikTok-Erfolgen. Auch Charli xcx kreierte mit „brat“ einen viralen Moment nach dem anderen: Vom Star besetzten Musikvideo zu überraschenden Live-Auftritten und ikonischen Interviews.
Was außerdem auffällt: Es schadet nie auf vorherrschenden Trends aufzuspringen oder einen Fuß in der Tür zu haben. So hat „Barbie“ mit Sicherheit von dem bunten und fröhlichen Dopamine-Modetrend des Vorjahres profitiert. Charli xcx wiederum kollaborierte nicht nur mit Ikonen des aktuellen Zeitgeists, sondern war bereits selbst 2023 Teil des „Barbie“-Hypes. Ihr Song „Speed Drive“ lief im Abspann des Blockbusters.
Vom TikTok-Star zum Popsternchen
Die Chancen auf einen Addison-Rae-summer:

Charli xcx hat selbst einige Vorschläge, welche Künstler:innen den diesjährigen Sommer definieren könnten. Nach ihrem finalen Coachella-Set leuchten mehrere Namen mit dem Zusatz „summer“ auf der Bühne hinter hier auf. Darunter preist sie unter anderen auch den „Addison Rae summer“ an. Könnte Rae eine mögliche Erbin des „brat“-Hypes werden?
Unterschätzt von vielen: Sie wurde 2019 als TikTokerin berühmt und für ihre musikalische Karriere anfangs dementsprechend belächelt. Aber mit dem Song „Diet Pepsi“ bewies die 24-Jährige im vergangenen Sommer, dass sie auch mit ihrer Musik viral gehen kann – im positiven Sinne. So bringt sie schon einmal einen key ingredient auf unserer Zutatenliste für den nächsten Sommermoment. Rae präsentiert sich außerdem hyperfeminin, verspielt und repräsentiert so eine Facette der maximalen Feminität, die schon bei „Barbie“ gefeiert wurde. Gleichzeitig erinnert Raes Sound und verspielter Look an die Anfangsjahre von Britney Spears Popsternchen-Karriere. Addison Rae ist frisch, neu und versprüht trotzdem Nostalgie.
Damit spielt sie offenbar auch ganz bewusst: Das Cover für ihr Debütalbum „Addison“, das am 6. Juni erscheinen wird, erinnert stark an den Look der frühen 2000er. Der beliebteste Kommentar unter ihrem Announcement-Post ist der gleichen Meinung: „Das sieht aus wie eine CD, die ich auf meinem Mickey Mouse CD Player abgespielt hätte – obsessed!“
Zu all diesen vielversprechenden Faktoren hat Rae außerdem den oben bereits erwähnten Fuß in der Tür: Sie trug 2024 zum Hype um „brat“ bei. Noch vor dessen Release veröffentlichte Charli xcx den Remix „Von Dutch“ zusammen mit Addison Rae. Der Song und vor allem Raes hoher Schrei darin wurden zum viralen Hit. Nun versucht die 24-Jährige mit ihrem eigenen Album nachzulegen. Ob dieses allerdings einen Hype vergleichbar mit „brat“ und „Barbie“ haben wird? Wahrscheinlich eher nicht. Unterschätzen sollte man Rae allerdings trotzdem keinesfalls…
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Taylor Swift: Schreibt sie bald keine autobiographischen Songs mehr?
Ist „I quit“ schon jetzt das Album des Sommers?
Die Chancen auf einen Haim-summer:

Ein Album, das wahrscheinlich noch sehnlicher erwartet wird als Raes ist Album Nummer vier der Geschwister Haim. Seit ihrem Debüt 2013 veröffentlichten Danielle, Este und Alana Haim alle vier Jahre ein neues Werk. Am 20. Juni dürfen sich ihre Fans nun auf „I quit“ freuen, das die Band bereits seit einigen Wochen anteasern. Die PR-Maschine läuft bereits wie geschmiert: Im März veröffentlichte die Band die erste Single „Relationships“ – inklusive semi-viralen Tanz, den sogar Schauspieler und bekennender „brat“ Kyle MacLachlan zum nachtanzen animierte.
Was Haim offensichtlich verstanden haben: Authentische popkulturelle Momente als Promo zu nutzen. Jede Singleauskopplung erhielt bisher ein Cover basierend auf einem ikonischen Paparazzi-Shot aus den 2000ern. Für „Relationships“ imitierten die Schwestern etwa die offensichtlich überglückliche Nicole Kidman, nachdem die Scheidung von Tom Cruise durch war. Ein Weltpopkulturerbe und millionenfach geteiltes Meme.
Für ihre Musikvideos zum neuen Album casteten Haim bisher stets – wie das Internet es ganz richtig betitelt – den „white boy of the month“. Also die begehrtesten prominenten jungen Männer, für die online geschwärmt wird. Nach „Queer“-Star Drew Starkey für „Relationships“, hat sich die Band für ihr zweites Musikvideo Frauenschwarm Logan Lerman ausgesucht. Und das Internet ist begeistert. Marketing und das Potential von Social Media haben die Frauen also auf jeden Fall verstanden.
Kein Wunder: Sie teilen den gleichen Creative Director wie Charli xcx. Terrence O’Connor spielte einen großen Faktor im Erfolg und der Viralität von „brat“ im vergangenen Jahr.
Ein weiterer möglicher Erfolgsfaktor für „I quit“: Haim bringt für viele Fans Nostalgie mit sich. Die Band veröffentlichte 2013 sein erstes Album und schaffte damit besonders bei Indie-Pop-Fans und Tumblr-Girls positive Erinnerungen. Zudem mischten die Schwestern gleich in zwei Popkultur-Sommern mit. Sie lieferten 2023 mit „Home“ einen Song für den Barbie-Soundtrack und tourten zeitgleich mit Taylor Swift auf ihrer Eras-Tour durch amerikanische Städte.
Reicht das für einen Haim-Summer aus? Für Fans der Band (wie mich): Mit Sicherheit. Fraglich ist aber, ob diese Fangemeinde groß genug ist beziehungsweise ihre Musik auch außerhalb dieser genug Wellen schlagen kann, um ein würdiger Nachfolger für den „brat summer“ zu werden.
„What was that?“ – Gelingt Lorde das großes Comeback?
Die Chancen auf einen Lorde-summer

Die besten Karten zum Icon of the summer zu werden hat aktuell Sängerin Lorde. Spätestens mit ihrer brat-Kollaboration „Girl, so confusing“ machte sie 2024 ihre Fans hungrig auf neue Musik. Genau wie Haim folgten ihre Alben bisher dem Vierjahresrhythmus. Auch in diesem Jahr scheint sie mit den Geschwistern musikalisch wieder gleichzuziehen. Nachdem online über neue Musik der Neuseeländerin gemunkelt wurde, veröffentlichte sie am 24. April den Song „What Was That?“, dessen Snippet zuvor bereits viral gegangen ist.
Nach vier Jahren musikalischer Pause und dem eher mäßigen Erfolg ihres dritten Albums „Solar Power“ heißen Lorde-Fans ihre Rückkehr jetzt bereits überenthusiastisch Willkommen: Einen Tag vor der Veröffentlichung der ersten Single ihres kommenden Albums spielte sie den Song Fans auf den New Yorker Straßen vor. Nach ihrem kurzen Auftritt hielt deren Ekstase aber weiter an. Tanzend und singend zogen sie zu ihren ikonischsten Songs durch die Straßen. Noch bevor alle Songs überhaupt veröffentlicht sind, steht ganz klar fest: „Lorde summer“ liegt – zumindest in New York – bereits in der Luft.
Wenig überraschend, denn Lorde bringt fast alle Merkmale mit, die wir zuvor für einen iconic summer aufgezählt haben. Die Videos, in denen sie in New York exzentrisch zu ihrem neuen Song tanzt, aber nicht singt, verbreiten sich wie ein Lauffeuer (diesen Auftritt inszenierte übrigens auch „brat“-Creative Director O’Connor). Ihr Modestil hat dort wie auch bei ihrem Gastauftritt in Charli xcx‘ Coachella-Set Wiedererkennungswert: Cool, reduziert, fast schon maskulin mit derben Brüchen. Dabei trägt die Sängerin kaum Make-Up. Ein Look fernab der künstlichen Social-Media-Perfektheit und trotzdem weiblich.
Gleichzeitig ist Lordes Musik gerade für die Millenialgeneration nostalgisch und prägend. Online berichten aktuell zahlreiche Fans davon, dass Lordes Alben immer mit prägenden Wendungen in ihrem Leben verbunden waren. Denn die Sängerin wuchs mit ihren Fans, zeigte sich in ihren Texten vulnerabel zwischen Teenage-Verzweiflung („Pure Heroine“), Liebeskummer („Melodrama“) oder einfach die Herausforderungen am Erwachsenwerden („Solar Power“). Ihre Musik verkörpert „girlhood“ so gut wie es kaum eine andere Künstlerin tut. Ihr neuer Song erinnert zahlreiche Fans an ihr Album „Melodrama“. Damit könnte ihr neues Album Eskapismus und Nostalgie perfekt verbinden: Das Abtauchen in eine vertraute und bessere Zeit.
Gerade in Zeiten von politischer und finanzieller Unsicherheit scheinen sich online gerade viele Menschen genau danach zu sehnen. Ein Sommer, der von Weltschmerz und Sorgen zumindest kurzzeitig ablenkt. Auch wenn Lorde gerade die besten Karten dafür zu haben scheint, bringen auch Addison Rae und Haim großes Potenzial mit, genau diesen zu liefern. Und wer weiß? Vielleicht räumt auch ein ganz unerwarteter Artist das Feld von hinten auf – ganz in der Manier, in der es „brat“ Charli xcx im vergangenen Jahr vorgemacht hat.
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