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Debatte um Chappell Roan: Wie politisch sollten Popstars sein?

Sängerin Chappell Roan hat im Internet eine neue Diskussion ausgelöst: Sollten Popstars politisch sein? Wie viel Aktivismus dürfen wir von Promis erwarten?

„Hat diese Frau kein PR-Team?“: Diese Frage liest man über Chappell Roan fast wöchentlich in den Kommentarspalten des Internets. Denn seit vergangenem Jahr steht die 27-Jährige dank ihres Hits „Good Luck, Babe“ im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Doch scheint es fast so, als würde Roan jedes Mal, wenn sie den Mund aufmacht, online die nächste große Debatte lostreten. So wieder geschehen bei ihrem Interview mit Alex Cooper in deren Podcast „Call her Daddy“.

Obwohl der Podcast bereits Ende März veröffentlicht worden ist, schlagen Ausschnitte davon in den sozialen Medien noch immer große Wellen. Dieses Mal erregt die Sängerin gleich mit zwei Aussagen die Gemüter von Kritiker:innen. Einerseits erzählt sie im Gespräch mit Cooper, dass alle Mütter in ihrem Freundeskreis unglücklich seien – was zahlreiche junge Mütter im Netz empört hat. Andererseits spricht die US-Amerikanerin über die Schwierigkeit als Popstar politisch informiert zu sein.

In dem Ausschnitt, der aktuell heiß diskutiert wird, bringt Chappell Roan den Erwartungsdruck an sie und ihre Kolleginnen zum Ausdruck. Diesen halte sie für unrealistisch:

„Wie können diese Mädels touren, schreiben, performen, Interviews geben, schlafen, essen […], Sport machen, ein Team leiten und Chefinnen sein und Leute bezahlen und so f*cking politisch informiert sein? Es ist unmöglich! Und warum schaut ihr überhaupt zu mir für eine politische Antwort? Glaubt ihr, ich habe die Antwort? Ich bin ein Popstar!“

Ist Chappell Roan eine Heuchlerin?

Diese Aussage kommt sowohl für Fans wie Kritiker:innen überraschend. Denn in der Vergangenheit hat sich die Sängerin häufig öffentlich politisch geäußert. Im Juni 2024 verkündet Roan etwa bei einem Auftritt, dass sie eine Einladung des Weißen Hauses zu deren Pride-Parade abgelehnt habe. Sie werde dort so lange nicht auftreten, bis es „Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit für alle“ gäbe, begründet sie ihre Entscheidung damals. Dabei lägen ihr besonders die Rechte von Transmenschen, Frauen und den unterdrückten Menschen in Palästina am Herzen. Woher kommt nun der drastische Kurswechsel?

Zahlreiche TikToker üben daher gerade Kritik an Chappell Roan und gehen damit mehrfach viral. Sie bezeichnen die Sängerin als Heuchlerin und „weiße Feministin“, deren Aktivismus nur performativ sei und zu eigenen Zwecken genutzt werde. Einige unterstellen ihr sogar, insgeheim eine Republikanerin und Trump-Anhängerin zu sein. Während Bidens Amtszeit habe sie noch öffentlich Kritik an der Regierung geübt – seit Trumps Amtsantritt schweige die 27-Jährige auffällig. Ist die Wut auf Chappell Roan gerechtfertigt?

Popstars und Politik: Passt das zusammen?

Auch wenn die Diskussion um Roan – wie es im Internet oftmals der Fall ist – teils extreme Züge annimmt, klingen einige Kritikpunkte legitim. Die meisten TikTok-Nutzer:innen argumentieren: Mit Sicherheit hätten Popstars einen vollgepackten Terminkalender. Doch auch „normale“ Bürger seien sehr beschäftigt. Dazu habe der Großteil der Bevölkerung aktuell im Gegensatz zu den meisten Stars mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Trotzdem läge es an jedem einzelnen, politisch informiert zu sein und zu bleiben. Das sollte auch vielbeschäftigte Promis nicht ausschließen.

Kritiker:innen online fordern zudem, dass gerade Menschen wie Roan, die eine große Reichweite haben, für die Rechte anderer einstehen. Sollten Fans außerdem nicht wissen, welche Art von Menschen sie mit ihrem Geld und ihrer Aufmerksamkeit unterstützen?

Bei all den guten Argumenten stellt sich allerdings auch die Frage: Werden diese Erwartungen an alle Stars gleichermaßen gestellt? Oder wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Chappell Roan berichtet über Doppelmoral für queere Künstler

Was in der Diskussion um Roan häufig untergeht, ist der Kontext, in dem diese ihre Aussagen getroffen hat. Kurz vor ihrer heiß debattierten Aussage spricht die Sängerin im Podcast über die Schwierigkeiten, die sie seit ihrem plötzlichen Ruhm durchlebt. Dabei geht sie auch auf die Doppelmoral ein, die sie als lesbische Frau im Gegensatz zu ihren heterosexuellen Kolleginnen erlebe:

„Ich glaube das Problem ist: Die Menschen erwarten von mir, dass ich nach anderen Regeln spielen soll. Weil ich lesbisch bin und ich damit viel politisch korrekter umgehen soll und mich viel besser [mit LGBTQ+-Themen] auskennen soll.“

Sie habe das Gefühl, dass man sie besonders kritisch beäuge und auf Fehler untersuche – gerade weil sie sich in der Vergangenheit über viele Themen öffentlich geäußert hat. „Ich versuche alles zu wissen, was ich kann“, erklärt sie weiter. „Aber wenn ich eine Frage mal nicht korrekt beantworte oder eine Community nicht würdige – wie kann ich alles richtig machen?“

Politischer Druck führt Laverne Cox bis ins Burn-Out

Die amerikanische Schauspielerin Laverne Cox hat den Druck, den Roan beschreibt, am eigenen Leib erfahren. Mit gravierenden Folgen für ihre Gesundheit. In einem Interview mit „The Guardian“ 2021 gesteht sie, dass sie als Transgender-Frau in der Öffentlichkeit eine besondere Verantwortung spüre, sich für LGBTQ+-Rechte einzusetzen. Dies sei zu Beginn nicht aus eigenem Antrieb geschehen.

Als Transfrau sei sie häufig gebeten worden, sich zu gewalttätigen Vorfällen gegen Transpersonen zu äußern. Das habe in ihr ein Gefühl der Überforderung ausgelöst. 2014 führt ihr Aktivismus dann sogar zum Burn-Out. Mittlerweile weiß Cox, „dass ich mir zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen muss, bevor ich anderen helfe“.

Ähnliche Erfahrungen haben auch queere Stars wie Janelle Monáe gemacht. Sie erklärt im Interview mit Allure, dass sie den Druck spüre, ständig politisch sein zu müssen, da ihre Identität als queere Schwarze Person immer als politisch wahrgenommen wird – egal, ob sie das möchte oder nicht. Sie betont außerdem regelmäßig, dass sich weiße männliche Kollegen „neutral“ präsentieren dürfen. Ein Privileg, das sie nie gehabt habe.

Ist die Kritik an Chappell Roan gerechtfertigt?

Chappell Roan scheint aktuell ein ähnliches Schicksal zu widerfahren. Sie und ihre Aussagen werden deutlich strenger bewertet als die ihrer meisten Kolleg:innen. Doch sind die Vorwürfe ihr gegenüber fair? Die Sängerin wird nach ihrer aufsehenerregenden Aussage unter anderem als „weiße Feministin“ bezeichnet. In vielen TikToks wird Roan dafür verurteilt, dass sie zwar die Inspiration für ihr Drag-Make-Up öffentlich immer wieder auf Schwarze Transfrauen zurückgeführt habe, sich darüber hinaus für diese Minorität aber nicht eingesetzt habe.

Tatsächlich spendete Roan einen Teil ihrer Tour-Einnahmen 2023 an die Charity-Organisation „For the Gworls“. Diese unterstützt Schwarze Transpersonen beispielsweise bei geschlechtsangleichenden Operationen.

Auch das Argument, dass sie seit der Trump-Administration politisch schweige, ist nicht haltbar. Bei den Grammys spricht Roan auf dem roten Teppich über die Herausforderungen für Transmenschen aufgrund der Attacken des US-Präsidenten. „Es ist brutal im Moment, aber Transmenschen haben immer existiert und werden für immer existieren“, sagt sie damals. „Ich wäre heute nicht hier ohne Transfrauen. (…) Ich tue mein Bestes, um wirklich für euch einzustehen in jeder Form, die mir möglich ist.“

Bei der Veranstaltung Anfang des Jahres sind es nur weibliche Stars, die für die Transcommunity einstehen. Lady Gaga widmet ihnen ihren Award, Charli XCX holt sich für ihre Performance Transmodels und Aktivist:innen auf die Bühne. Kritik an Stars, die ihre Bühne an diesem Abend nicht für unterdrückte Gruppen nutzen, gibt es damals keine.

Wie Politik Karrieren zerstört

Während Chappell Roan sich dazu gedrängt fühlt, sich politisch und „korrekt“ zu äußern, zerstört politisches Engagement für andere Stars Karrieren. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die „West Side Story“-Schauspielerin Rachel Zegler. Nach ihren Rollen in dem Spielberg-Film und dem „Hunger Games“-Prequel „Das Lied von Vogel und Schlange“ waren die Weichen für eine erfolgreiche Hollywoodkarriere gestellt.

Dann gerät die 23-Jährige in das Kreuzfeuer konservativer und rechtsextremer Kritiker. Diese stoßen sich an Zeglers progressiven Aussagen über ihre Rolle als „Schneewittchen“ im gleichnamigen Live-Action-Film. Sie hat zuvor den vermeintlichen Retter, den Prinzen aus dem Märchen als übergriffig bezeichnet. Stattdessen verspricht sie eine „moderne Interpretation“ Schneewittchens. Zeitgleich präsentiert sie sich im Konflikt zwischen Israel und Palästina als Pro-Palestine. Das Resultat: Nicht abreißender Hass online sowie der Flopp des großen Disney-Films. Mit gerade einmal 23 Jahren scheint ihre Karriere bereits irreparablen Schaden genommen zu haben.

Schon Sängerin Sinnead O’Connor, die Countryband The Dixie Chicks (heute The Chicks) oder Schauspielerin Jane Fonda haben in der Vergangenheit lernen müssen, dass politischer Aktivismus Karrieren beenden oder zumindest stark beschädigen kann. Auch hier zeigt sich die Doppelmoral: Während prominente Männer für politische Aussagen meist gefeiert werden, gelten Frauen oft als zu extrem oder aggressiv. Der mediale Gegenschlag hat oft desaströse Folgen.

Chappell Roan: „Wie kann ich alles richtig machen?“ – Gar nicht

Die laufende Diskussion um Chappell Roan scheint zu bestätigen, was sie selbst im Gespräch mit Alex Cooper befürchtet: Sie kann unmöglich „alles richtig“ machen. Denn die Erwartungshaltung an sie als queere weibliche Sängerin, die sich bereits politisch geäußert hat, ist nahezu unerfüllbar.

Dabei wäre ihr „Skandal“ ein guter Denkanstoß für eine viel interessantere Debatte: Wie politisch sollten Stars überhaupt sein? Ist es die Aufgabe jeder Person mit Reichweite, diese für „Gutes“ zu nutzen? Und was passiert, wenn besagte Person und die breite Masse unterschiedliche Definitionen von „Gutem“ hat? Wann überschreitet politisches Engagement einflussreicher Personen eine Grenze? Spätestens seit Elon Musk sich als rechte Hand Trumps präsentiert, ist das eine Frage, die sich zahlreiche Menschen stellen. Sollten Promis in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft also doch politisch neutral bleiben?

Was ist eure Meinung zu dem Thema? Wünscht ihr euch politische oder unpolitische Prominente? Verratet es mir gerne in den Kommentaren!


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